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Farbe als Verstärker

Interview mit dem Künstler Gerold Miller

Gerold Miller, Foto: Patrick Desbrosses

Gerold Miller, Verstärker 10, 2016

Die Kunst hat die Fähigkeit, Menschen zu verbinden und Freundschaften zu schaffen. Ein besonderes Beispiel dafür ist die Beziehung zwischen dem Sammler Rainer Stadler und dem Künstler Gerold Miller. Beide stammen aus dem gleichen oberschwäbischen Ort und sie verbindet eine Freundschaft aus Kindertagen. Nach Jahren, in denen man sich aus den Augen verlor, brachte die Kunst sie wieder zusammen.

 

Gerold Millers Werke sind seither zu einem zentralen Bestandteil der Sammlung Stadler geworden. Der Erwerb der ersten Arbeit, „Riverside Wall“ im Jahr 2011, war der Beginn einer intensiven Begleitung und Dokumentation von Gerold Millers künstlerischem Werdegang. Ein besonderes Highlight in der gemeinsamen Historie von Sammlern und Künstler war die Ausstellung "In erster Linie" im Jahr 2022, in der u.a. Werke von Gerold Miller aus der Sammlung Stadler in drei der schaufensterartigen Fassadenräume des Neuen Museums Nürnberg zu sehen waren.

 

Über die Jahre hat sich eine tiefe Freundschaft zwischen dem Ehepaar Stadler und Gerold Miller entwickelt, die über das reine Sammeln hinausgeht und für beide Seiten eine Bereicherung ist. In diesem Interview gibt uns Gerold Miller Einblicke in seine Entwicklung als Künstler, seinen kreativen Prozess und sein Leben zwischen Berlin und der Toskana. 

Gerold Miller, Riverside Wall, 2003

Gerold Miller, Riverside Wall, 2003

Welchen Zeitpunkt würdest du als Anfang deiner „Karriere“ beschreiben, wie wurdest du zum

Künstler?

Einen Anfang gibt es nicht so wirklich. Ich war schon als Kind sehr kreativ. Richtiger Künstler wurde ich erst mit der Aufnahme an der Akademie der Künste in Stuttgart. In diesem „geschützten“ Umfeld begann meine erste ernstzunehmende Auseinandersetzung mit dem Thema Kunst.

Erinnerst du dich an dein erstes realisiertes Werk?

Eines meiner ersten Werke an der Akademie war eine abstrakte, fast konzeptuelle Arbeit in einer figurativen Grundklasse, die man zwingend vor der Fachklasse besuchen musste. Während die meisten Studierenden Köpfe und Figuren modellierten, habe ich eine Raumecke des Klassenraums mit Gips ausgegossen. Nach dem Abtrocknen habe ich die Gussform von ca. 30 x 30 x 30 cm etwas aus der Ecke herausgezogen, so dass eine Form im Raum entstand, die zugleich durch die Bedingungen des sie umgebenden Raums definiert wurde. Das war meine erste Skulptur, dieses Thema beschäftigt mich noch heute.

Was war dein persönliches Lieblingsprojekt oder Werk, an dem du gearbeitet hast, und warum?

Die Frage ist schwierig. Vor allem, wenn man wie ich die Gesamtheit seines Werks immer wieder neu

definiert und bearbeitet. Eine Ausstellung, die meinen Vorstellungen sehr entsprach, war 2012 die Einzelausstellung im Mies van der Rohe Haus in Berlin. Meine Arbeiten, meine Thematik, gingen dort eine optimale Wechselbeziehung und einen Dialog mit der Architektur von Mies van der Rohe ein.

Mies van der Rohe_Ausst. Miller.jpg

Ausstellungsansicht Gerold Miller, Mies van de Rohe Haus, 2012

Wie sieht dein Arbeitsprozess aus? Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit deinem Team

oder Dienstleistern?

Ich entwerfe die Werkreihen und Ausstellungen ganz analog in maßstabgetreuen Modellen aus speziellem Karton, Cutter, Schere und Klebstoff. Alles, was dabei entsteht, ist dreidimensional. Ab einem bestimmten

Punkt habe ich beschlossen, dass der Arbeitsprozess ein anderer sein muss. Seither geschieht die Realisierung meiner Werke immer in enger Zusammenarbeit mit meinem Team, meinen externen Mitarbeitern und verschiedenen spezialisierten Firmen.

Deine Werke bewegen sich oft an der Grenze zwischen Malerei, Skulptur und Installation. Wie defnierst du selbst deine Kunst?

Ich bin sicher ein Minimalist mit konzeptueller Ausrichtung. Alles entsteht im Raum oder im Kontext zur Architektur. Dabei bewege ich mich thematisch konstant im Spannungsfeld zwischen Bildhauerei und

Malerei. Gleichzeitig versuche ich Grenzen auszuloten und neu festzulegen.

Was inspiriert dich, eine neue Werkgruppe oder Serie zu beginnen, und wie kommt es, dass du alte Serien wieder aufnimmst?


Es entstehen immer wieder neue Werkgruppen. Manchmal greife ich dabei auch bereits abgeschlossene Themen wieder auf, entwickle sie mit neuen Techniken weiter, formuliere sie um, stelle sie formal und inhaltlich in einen neuen Kontext. Stillstand darf es nicht geben.

Gerold Miller, instant vision 184/185/186, 2022

Welche Rolle spielt Farbe in deiner Arbeit? Wie entscheidest du, welche Farben du verwendest?

In meinem Frühwerk gab es kaum Farben. Erst seit Ende der 90er Jahre, also mit meinem Umzug nach Berlin, kamen erste Farben hinzu. Meine ersten farbigen Werke wurden von den Farbkombinationen auf

Zeitschriften-Covern inspiriert. Sie basierten auf dem readymadehaften Einsatz von sehr leuchtenden

Farben im Kontrast mit schwarz und weiss. Um diese visuellen Eindrücke richtig umsetzen, fing ich an, mit ortsansässigen Lackierern zu arbeiten.
Später begann ich Farbe auch wegen ihrer formalen Qualität als Verstärker einzusetzen. Die Farbauswahl

selbst war zuerst etwas beliebiger, was mich zunächst nicht so gestört hat. Nach und nach habe ich mich aber gegen diese Beliebigkeit entschieden und mich auf eine begrenzte Farbpalette konzentriert, die ich seither nur sehr langsam und mittels eines aufwändigen Selektionsprozesses erweitere.

 

Gibt es neue Materialien, die du erkunden möchtest?

Es gibt immer neue Materialien, für die ich mich interessiere und die ich dann auch ausprobiere. Aktuell

realisiere ich in Italien die ersten Wandreliefs aus Bronze, was mir großen Spaß bereitet. Der Bronzeguss

hat hier in der Gegend eine lange Tradition, das bringt mich auf neue Möglichkeiten und Ideen. Im Moment ist mir nicht klar, wohin das führen kann, aber der Prozess ist für mich sehr spannend und inspirierend.

 

Du arbeitest in Berlin und Italien. Was macht für dich den Reiz der beiden Orte aus und wie beeinflussen sie deine künstlerische Praxis?

Neben Berlin haben wir seit 7 Jahren einen zweiten Wohn- und Arbeitssitz in Pistoia, Italien. Diese Orte sind

von ihrem Charakter her gegensätzlich, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Beide bieten mir vor diesem Hintergrund komplett andere Arbeitsmöglichkeiten und Bedingungen.
In Berlin haben wir zwei großzügige Atelierhallen, die sehr urban sind und wo ich mit meinem ganzen Team arbeiten kann. In Italien arbeite ich allein und versuche bei alten Handwerksbetrieben direkt in die Produktion einzusteigen, da geht es in erster Linie um traditionelle Techniken in Steinbildhauerbetrieben und Kunstgießereien.

Ausstellungsansichten mit Werken von Gerold Miller, "In erster Linie" Neues Museum Nürnberg, 2022, Foto: Matthias Kolb

Was tust du gerne im Ausgleich zu deiner künstlerischen Arbeit?

In Italien investiere ich viel Zeit in den ökologischen Landschaftsbau. Wir versuchen, den lokalen ökologischen Anbau von Olivenbäumen fortzuführen und weiterzuentwickeln. Außerdem bauen wir dort einen Skulpturenpark auf, der in der Tradition der großen italienischen Skulpturenparks von Pratolino bei Florenz bis zur Fattoria di Celle bei Prato steht.

Welche Künstler und Künstlerinnen (auch der älteren Generation) inspirieren dich, mit welchen Künstlern und Künstlerinnen bist du befreundet/ tauschst du dich aus?


Mein künstlerisches Werk ist von den 60ern und 80ern gleichermaßen beeinflusst. Meine Kindheit und

Jugend in Süddeutschland war vor allem von der Kunst der 60er Jahre geprägt. Regionale Kunst wie auch

die Konkrete Schweizer Kunst waren meine ersten ästhetischen „Konfrontationen“, an denen ich mich

abarbeiten und ein frühes Vokabular entwickeln konnte. Später, in den 80ern galt das gleiche für die Kunst

des Neo Geo, der politische, philosophische und sozialkritische Inhalte in eine vordergründig neutrale,

geometrisch-abstrakte Formensprache verpackte, was ich sehr spannend fand. Mit einigen seiner Vertreter bin ich bis heute befreundet. Eine zentrale Rolle spielt für mich schon immer das Werk von Franz Erhard

Walter, dessen künstlerische Arbeit mir bereits in der Zeit vor der Akademie bekannt war.

 

Welchen Rat gibst du einer neuen Generation von Künstlern und Künstlerinnen mit auf den Weg?

Das ist schwierig. Der Kunstbetrieb hat sich seit meiner Anfangszeit sehr verändert. Heute gibt es wesentlich mehr Möglichkeiten, kreativ zu arbeiten. Der Beruf des Künstlers erfordert aus meiner Sicht eine gewisse Kompromisslosigkeit, Fähigkeit zum Widerstand und Durchhaltevermögen.

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